Immer diese Züchterschelte...

„Schelte bezeichnet im gehobenen Deutsch eine verbale Maßregelung, einen Tadel, ein strafendes Wort, das kaum noch Verwendung findet.

In dem heute noch gebräuchlichen juristischen Terminus „unbescholten“, frei von öffentlichem Tadel, ist der Begriff „Schelte“ jedoch noch in Gebrauch. In der Justizkritik hat die Richterschelte als zulässige Form Bedeutung. Sonst wird „Schelte“ mitunter zur ironischen Bezeichnung einer unangemessenen oder schlecht begründeten Kritik verwendet, wie beispielsweise für „Politikerschelte“ oder auch „Spielerschelte“.“ In Rassehundevereinen weit verbreitet ist dagegen die „Züchterschelte“, ein Begriff, der in der Regel immer dann von den Züchtern selbst inflationär verwendet wird, wenn diese sich einem auch nur extrem geringem Maß an sachlich-fundierter Kritik ausgesetzt sehen. Umso interessanter ist unten stehender Artikel…

 

 

„Unter Helikopter-Züchtern, auch Hubschrauber-Züchter oder als Fremdwort Helicopter Breeder (engl. helicopter breeder oder paranoid breeder), versteht man populärsprachlich überfürsorgliche Züchter, die sich (wie ein Beobachtungs-Hubschrauber) ständig in der Nähe ihrer Welpenkäufer aufhalten, um diese zu überwachen, sich in deren ureigenste Angelegenheiten einzumischen und zu behüten. Ihr Kommunikationsstil und die Gestaltung ihrer Beziehung zum Welpenkäufer ist geprägt von (zum Teil zwanghafter oder paranoider) Überbehütung und exzessiver Einmischung in die Angelegenheiten des Welpenkäufers bzw. des späteren Hundebesitzers aus Hunden ihrer Zucht.

 

 

Die Begriffe Überbehütung und Überfürsorglichkeit (englisch: overprotection) bezeichnen allgemein Verhaltensweisen von Züchtern, bei denen das Bedürfnis, ihre Welpenkäufer (und auch die von ihnen gezüchteten Hunde) zu beschützen und zu versorgen, übermäßig ausgeprägt ist. Dieselben Begriffe sind auch auf andere menschliche Beziehungen anwendbar, beispielsweise zwischen Züchterehepartnern. Der Begriff Helikopter-Züchter ist eine populäre Bezeichnung für eine moderne Form der Überbehütung; die ständige Überwachung des als unmündig erlebten Welpenkäufers durch den Züchter (englisch: overbreeding) ist eine spezielle Ausprägung von Überfürsorglichkeit. Eine andere Art von Überbehütung ist die Verwöhnung, die im Gegensatz zum Verhalten von Helikopter-Züchtern nicht mit übermäßiger Kontrolle verbunden sein muss. Verwöhnung besteht darin, dem Welpenkäufer Belastungen, Anstrengungen und eigenes Denken zu ersparen und ihm möglichst viele Wünsche zu erfüllen.

Die Hubschrauber-Metapher wurde bereits 2010 vom israelischen Psychologen H. G. G. in seinem Werk „Between Breeder & Puppy Owner“ verwendet, der einen Irish Terrier Besitzer zitiert: „My breeder hovers over me like a helicopter“.

Der dänische Psychologe B. H. prägte 2008 die Sport-Metapher Curling-Züchter bzw. Curling-Hundehalter. Wie beim Wischen im Curling würden die Züchter jegliches Hindernis und alle denkbaren Reibungsmöglichkeiten aus dem Weg des Welpenkäufers schaffen, so dass er nicht lernt, Widerstände eigenständig zu überwinden.

 

Die US-amerikanische Psychotherapeutin W. M. beschrieb im Jahr 2001, wie sie in ihrer Praxis moderne Züchter von umsorgten Mittelschichtwelpenkäufern erlebt: „Von außen betrachtet, wirkt ihr Zusammenleben perfekt. Die Züchter besuchen jede neue Entwicklungsstufe des ehemaligen Welpen und jede von ihnen initiierte Ausstellung ihrer Welpenkäufer. [...] Sie kennen alle Freunde ihrer Welpenkäufer und überprüfen dies ständig in den sozialen Netzwerken. Wenn beispielsweise Ausstellungsergebnisse abfallen, organisieren sie Trimmhilfe und Ringtraining bis hin zu OP-Terminen zur Korrektur falsch getragener Ohren des Hundes.“ Nach M. hat dieses overbreeding schwerwiegende Verhaltensprobleme bei Hundehalter und Hund zur Folge. Zudem üben solche Züchter massiven Selbstdarstellungsdruck aus. Ausstellungsbewertungen und aktives Blödsinnreden in entsprechenden Gruppen der sozialen Netzwerke würden als wichtiges Züchtererzeugnis interpretiert werden. Als Ausweg beschreibt M. die Erziehung zu emotionaler Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Selbstständigkeit, orientiert an einem traditionellen Wertekanon. Sie befürwortet Eigenständigkeit der Welpenkäufer, deren Loslösung vom Züchterhaushalt und auch insbesondere das selbständige Denken und Informieren der Welpenkäufer und empfiehlt aber gleichzeitig mehr Zurückhaltung des Züchters und ein Kümmern um seine eigenen Belange.

Wie M. ausgeführt hat, liegt die Problematik dieses Verhaltens nicht nur darin, dass betroffene Züchter Risiken, die ihren Welpenkäufern drohen (sachliche Information zu Hundeverhalten und Erziehung, Austausch mit Nicht-Züchtern und anderen Irish Terrier Besitzern), systematisch falsch einschätzen. M. kritisiert, dass diese Züchter sich ‒ obwohl sie manchmal intelligent, einfühlsam und immer äußerst engagiert sind ‒ in ihrer Beziehungsarbeit zum Welpenbesitzer weitgehend auf ein Mikromanagement der wechselnden Stimmungen des Gegenübers beschränken und darüber das große Ganze, nämlich das Wohl der Rasse, aus dem Blick verlieren.

 

Psychologische Hintergründe

Zunächst wurde die Diskussion durch den Psychiater M. W. aufgenommen. So schrieb er in seinem Werk „Warum unsere Züchter Tyrannen werden“, dass sich immer mehr Irish Terrier Besitzer in Psychotherapie befänden. Sie seien Opfer von engagierten, nur teilweise beziehungsfähigen Züchtern, die alles für ihren Nachwuchs getan hätten. W. sieht das Problem darin, dass es den Züchtern an Orientierung und Anerkennung sowie fundiertem Fachwissen mangele, so dass sich ihnen der Welpenkäufer zur Kompensation anbiete. W. plädiert für die Wiederherstellung einer „natürlichen Eigenständigkeit“ zwischen Züchter und Welpenkäufer.

Der Reformpädagoge W. B. meint, dass Welpenkäufer von Helikopterzüchtern in aller Regel unglücklich seien und dieselben Verhaltensprobleme wie vernachlässigte Hundebesitzer zeigten. Gerade Ersthundekäufer müssen sich laut B. in einem möglichst geordneten Umfeld zurechtfinden und diese äußeren Ordnungen verinnerlichen können. Sie wollen sich in den Eigenarten, Gesten, Blicken, Stimmen ihrer Züchter „spiegeln“, um sich so weiter zu entwickeln. Das Gefühl, dass sich die Züchterin permanent um sie dreht, raube ihnen dieses Gegenüber. Anders als W. empfiehlt B. mehr Disziplin und Gehorsam bei den Züchtern und mitunter einen Kontaktabbruch durch den Welpenkäufer, wenn der Züchter nicht zu angemessener Distanz in der Lage ist und den Welpenkäufer ständig für minderbemittelt hält.

Der dänische Psychotherapeut J. J. hält die Schäden durch Überbehütung sogar für schlimmer als die Folgen von Verwahrlosung, Ignoranz und Desinteresse des Züchters. Der Hintergrund von Überbehütung sei ein Narzissmus des Züchters: Sie wollten glückliche und erfolgreiche Welpenkäufer haben, um sich selbst als kompetent erleben zu können.

 

Überbehütung von erwachsenen Welpenkäufern

Der Erziehungswissenschaftler A. W. warnt vor zu viel Einmischung insbesondere bei erwachsenen Hundebesitzern: „Helicopter Züchter verlängern die Abhängigkeitsphase und fördern nicht die Selbstständigkeit.“ Der Psychoanalytiker und Verhaltenstherapeut J. A. nannte als Folgen eines möglichen Ablösungskonfliktes: „Depressionen, Verweigerungshaltungen und der Griff zu Drogen“. Natürlich sei es wünschenswert, dass sich Züchter für ihre Welpenkäufer interessierten und diese auch förderten; spätestens mit Beginn der Erziehung des Hundes sollten sie aber loslassen.

Der Erziehungswissenschaftler A. W. hat die Erfahrung gemacht, dass manche Züchter aus der Mittel- und Oberschicht nicht nur in der Welpenschule, sondern auch bei künftigen Erziehungsbemühungen stets mitmischen: „ Viele, gerade weibliche Züchter haben heute einfach zu viel Zeit für ihr ,Projekt Welpenkäufer‘. Und wenn Züchter erst mal Jahre lang ihre Verwöhn-Strategie verfestigt haben, können sie nicht plötzlich aufhören, nur weil  der Welpenkäufer mit dem von ihnen gezüchteten Hund nun eigene Wege gehen.“

 

Soziologische Faktoren

Unter dem Titel „Helikopter-Züchter“ publizierte der Kynopädagoge J. K. im August 2013 eine Streitschrift zum Thema. Süddeutsche.de bewertet das Buch als „kraftvolle Klage über die Mischung aus verkrampfter Frühförderung und nachgiebiger Verwöhnung, die sich seit einiger Zeit in Züchterhaushalten breitmacht“, und zitiert K.: „Dieselben Welpenkäufer, die man durch übergriffige Forderungen gern dressiert, schont man auf der anderen Seite im Übermaß.“ K. schätzt den Anteil solcher Züchter auf siebzig bis achtzig Prozent. Er warnt davor, dass immer mehr Welpenkäufer in der „Gluckenfalle“ landen. Die Folgen seien eine zunehmende Unselbstständigkeit und eine „Hilflosigkeit gepaart mit hohen Ansprüchen“.“

 

Also: immer schön Augen auf beim Welpenkauf!